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PROPAGANDA | Realität ist das was kommuniziert wird

Autorenbild: Aram RadomskiAram Radomski

Aktualisiert: 26. Feb.

Medien als Botschaft: Die neue elektronische Umwelt und ihre Propagandamechanismen


 

Es geht nicht um Bananen - es geht  um die Wurst         📺       Bleistift und Tusche auf Papier © Aram Radomski 2025
Es geht nicht um Bananen - es geht um die Wurst 📺 Bleistift und Tusche auf Papier © Aram Radomski 2025





Die Umwelt der Kommunikation bestimmt unsere Wahrnehmung. Das Medium, nicht die Botschaft, ist die eigentliche Kraft, die das Bewusstsein formt. Heute sind es nicht mehr Druckerpressen oder Radiowellen, die die Realität bestimmen, sondern die elektronischen Strukturen der sozialen Netzwerke. Hier geschieht Propaganda nicht mehr durch ein sichtbares Regime der Kontrolle, sondern durch die unsichtbare Architektur von Algorithmen.


Berlin Mitte 1989 © Aram Radomski
Berlin Mitte 1989 © Aram Radomski

Die elektronische Erweiterung der politischen Stimme


Die Mechanik der sozialen Netzwerke ist nicht zufällig, sie ist programmierte Lenkung. Der Strom der Botschaften, unaufhaltsam und unendlich, ersetzt die Notwendigkeit der Zensur durch Überfülle. Die Ordnung der Vergangenheit – in der Zeitungen, Radios und Fernsehsender den Fluss von Informationen regulierten – ist durch eine simultane, flüchtige und fragmentierte Öffentlichkeit ersetzt worden.



Einst war der öffentliche Diskurs ein zweiseitiger Prozess: die Medien als Vermittler zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Heute ist das alte Modell zerfallen. Jeder ist Sender und Empfänger zugleich. Politiker und Unternehmer umgehen das Filtersystem der Presse und sprechen direkt zur Masse, auf Plattformen, die keine Zeit für Analyse oder Einordnung lassen.


Berlin 1989 © Aram Radomski
Berlin 1989 © Aram Radomski

Propaganda als Umwelt, nicht als Botschaft


Die Struktur der sozialen Medien macht Propaganda nicht mehr zu einer Angelegenheit von Inhalten, sondern von Umgebung. Der elektrische Strom der Kommunikation wird zur natürlichen Umwelt der modernen Gesellschaft. Was zählt, ist nicht mehr, was gesagt wird, sondern wie es fließt. Ein Tweet, ein Post, ein Video – ihre Wirkung liegt nicht in ihrer einzelnen Bedeutung, sondern in der Art und Weise, wie sie in die elektronische Landschaft eingebettet sind.


Die Totalität des Mediums absorbiert den Einzelnen. Die Öffentlichkeit ist nicht mehr ein Diskussionsraum, sondern ein permanentes Echo. Das Publikum ist nicht passiv – es wird zur Verstärkung des Signals, indem es kommentiert, teilt, liked. In dieser neuen Umgebung ist Propaganda kein isoliertes Werkzeug der Macht mehr, sondern ein selbstorganisierendes System, das sich durch Interaktion verstärkt.


Brandenburg 1988 © Aram Radomski
Brandenburg 1988 © Aram Radomski

Die Parallele zur Gleichschaltung der sozialistischen Medienwelt


Die totale Umwelt der Propaganda ist keine Erfindung der digitalen Ära. Die sozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts haben diesen Zustand bereits antizipiert: Sie schufen eine mediale Welt, in der es keine Alternativen gab. Die Kontrolle war nicht nur in der Zensur sichtbar, sondern in der Gleichschaltung des gesamten Kommunikationsökosystems.



Jede Zeitung, jeder Rundfunksender, jede öffentliche Institution formte ein kohärentes Bild der Realität. Andersdenken bedeutete nicht nur einen anderen Standpunkt einzunehmen, sondern sich außerhalb der Umwelt zu bewegen. Propaganda wurde nicht als einseitige Beeinflussung wahrgenommen, sondern als die einzige existierende Struktur der Weltwahrnehmung.


Berlin 1989 © Aram Radomski
Berlin 1989 © Aram Radomski

Heute übernimmt der Algorithmus diese Rolle – nicht mit dem Hammer der Zensur, sondern mit der geschmeidigen Präzision der personalisierten Aufmerksamkeit. Wo die totalitären Systeme darauf setzten, abweichende Stimmen zu eliminieren, sorgt der digitale Raum für ihre Zerstreuung. Information wird nicht mehr verhindert, sondern ertränkt.



Berlin Mitte 1989 © Aram Radomski
Berlin Mitte 1989 © Aram Radomski

Die Elektrifizierung der Propaganda: Vom Volksempfänger zum Newsfeed


Die mediale Gleichschaltung der Vergangenheit operierte mit simplen Mechanismen: Kontrolle des Drucks, Regulierung der Sendefrequenzen, Einschränkung der Verlage. Der Rundfunk wurde zur Stimme des Staates, der Fernseher zum Fenster einer einheitlichen Realität.


Heute ist diese Kontrolle unsichtbarer, aber nicht weniger effektiv. Der Newsfeed ist zum neuen Volksempfänger geworden – nicht durch Zentralisierung, sondern durch personalisierte Lenkung. Die Unterschiede zwischen verschiedenen politischen Milieus werden nicht aufgehoben, sondern verstärkt. Die Umwelt, die sie umgibt, ist perfekt an ihre Vorlieben angepasst – sie sehen, was sie sehen sollen, ohne zu wissen, dass sie sehen, was für sie ausgewählt wurde.


Berlin 1989 © Aram Radomski
Berlin 1989 © Aram Radomski

In dieser neuen Phase der elektronischen Realität braucht es keinen Minister der Wahrheit mehr, keinen staatlichen Sprecher. Die Medien selbst sind die Botschaft – sie formen ihre Nutzer, ohne dass diese es merken. Die Gleichschaltung des Geistes geschieht nicht durch Unterdrückung, sondern durch einen konstanten Strom aus Reiz und Reaktion.



Berlin 1989 © Aram Radomski
Berlin 1989 © Aram Radomski

Von der zentralen Steuerung zur dezentralen Propaganda


Die Propaganda der Vergangenheit war institutionell: Sie wurde geplant, koordiniert, kanalisiert. Die Propaganda der Gegenwart ist emergent: Sie entsteht aus den Netzwerken selbst. Das Publikum ist nicht nur Empfänger, sondern auch Sender – es teilt, verstärkt, formt mit. Die Umwelt der Kommunikation hat sich von der vertikalen Struktur in eine allgegenwärtige, vernetzte, nicht kontrollierbare Form verwandelt.


Doch diese Dezentralisierung ist keine Befreiung. Sie ist eine neue Form der Konditionierung. In einer Welt, in der alles fließt, in der jede Information mit Millionen anderer konkurriert, wird nicht mehr das unterdrückt, was gefährlich ist – es wird unsichtbar gemacht durch den Ozean der Belanglosigkeit.


Das neue Gesicht der Meinungslenkung


Die Propaganda des 20. Jahrhunderts war eine Frage der Kontrolle. Die Propaganda des 21. Jahrhunderts ist eine Frage der Umgebung. Wer die Umwelt kontrolliert, kontrolliert nicht die Menschen – er kontrolliert, was für sie real ist.


Die Frage ist nicht, welche Botschaft vermittelt wird, sondern in welcher Medienwelt sie sich bewegt. Im Strom der permanenten Kommunikation sind es nicht mehr Worte, die die Massen lenken, sondern die Struktur der Kanäle selbst.


In einer elektrischen Gesellschaft wird die Fähigkeit zur Reflexion zur Herausforderung. Die Flut der Botschaften verdrängt die Möglichkeit zur Stille, die Explosion der Verbindungen ersetzt das vertiefte Nachdenken. Die einzige Antwort ist Bewusstsein – nicht über einzelne Inhalte, sondern über die Umwelt, die sie hervorbringt.




© Aram Radomski 2025 + Marshall Mc Luhan 1963

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